Während der Kieler Woche 2016 lud der Verein „Arbeit für Behinderte“ zu seiner Jahresveranstaltung am 20. Juni in die Fördesparkasse ein. Gerne entspreche ich Nachfragen und veröffentliche das Redemanuskript der Festrede, die ich bei diesem Anlaß gehalten habe.
Festrede Ehrenamt am 20. Juni 2016 – es gilt das gesprochene Wort
„Manche Menschen sind einfach da.
Da ist der Feuerwehrmann Christoph, der hilft, der zupackt, immer in Bereitschaft, der Atemschutzträger, der mutig in die Brandstätte geht, der verlässliche Kamerad, der so wichtig ist für die Not der Menschen sowie auch Christophs Familie, die alles mitträgt und ihm den Rücken stärkt.
Sicherheit ohne Ehrenamt ist kaum vorstellbar!
Wie selbstverständlich erwarten wir am Strand von der DLRG die beherzte Rettung, wenn das Herz Probleme macht, die Luft oder die Kraft plötzlich wegbleibt.
Bei Naturkatastrophen, wenn das Wasser steigt, das Haus zusammenbricht, die Erde bebt, dann ist es da, das Technische Hilfswerk oder die freiwillige Feuerwehr oder die ehrenamtliche Rettungshundestaffel, sie ist einfach da.
Da ist auch Erika, die im Hospiz Zuversicht verbreitet, die tröstet, die geduldig zuhört. Sie begleitet die Menschen auf ihrem letzten Weg. Sie ist der verlässliche, ruhende Pol, der das schwere Herz etwas erleichtert.
Was die Familie kaum noch leisten kann, leistet oft das Ehrenamt!
Allen, die den Anderen Mut machen, sie begleiten, ihnen den Alltag erleichtern, einkaufen, vorlesen, zur Hand gehen oder in einem freiwilligen sozialen Jahr der Nächstenliebe großen Raum geben, gilt Anerkennung und Dank.
Wo wäre unsere Nächstenliebe, unser wirksames fürsorgendes Mitgefühl heute ohne das Ehrenamt?
Einfach da ist auch der zuverlässige Fritz, schon am Nachmittag ist er da und sorgt sich. Selbstlos und bescheiden packt er zu, kümmert sich um das Sportheim, um den Platz, um die Trikots, repariert die kaputte Lampe. Findet abends noch den letzten Ball am Trainingsplatz. Ohne Fritz geht nichts. Er tröstet den traurigen Jungen der E-Jugend, der beim Training hingefallen ist und hat ein Reinigungstuch und ein Pflaster für sein Knie dabei. Und das alles, einfach so, weil der Fritz ja Zeit hat und jeden Tag kommt. Er ist immer da und er ist es gerne.
Eine tragfähige Gemeinschaftserfahrung ist auf das Ehrenamt angewiesen, wenn sie nicht auf Dienstleistung gegen Cash reduziert werden soll.
Über 40% der Schleswig-Holsteiner sind ehrenamtlich engagiert. Damit liegen wir mit Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Niedersachsen an der Spitze. Über eine Million Schleswig-Holsteiner, die für andere da sind. Und die Zahl steigt.
Selten war die Bereitschaft für die Übernahme ehrenamtlicher Arbeit größer und zugleich bunter, spontaner und intensiver als sie es heute ist. Das Ehrenamt ist oft eine Antwort auf Vereinzelung, Einsamkeit und Egoismus. Sie bietet Inhalte, Mitgefühl, Bestätigung und Anerkennung.
Da gibt es z.B. die spontane Typisierung der Blutwerte, ausgelöst durch das Mitgefühl mit Annika, die eine schwere Leukämie erleiden muss.
Da sind die Trainerinnen, Helferinnen und Helfer, Betreuende, Naturschützende, Selbsthilfeakteure, Lebensretter, Vorleserinnen, Hospizkräfte, Seniorenbegleitende und, und, und. Alle sorgen dafür, dass unsere Gesellschaft menschlich, sicher und lebenswert bleibt.
Diese besonders wichtigen Menschen, die wir oft schlicht übersehen, das sind die meist unauffälligen Ehrenamtlichen.
Dazu gehören auch die Menschen, die sich im Verein „Arbeit für Behinderte“ engagieren, so wie zum Beispiel Jürgen Müller der, wie seine Mitstreitenden, bescheiden im Hintergrund bleibt.
Unser solidarisches Gemeinwesen kann nur dann existieren und weiterwachsen, wenn viele Bürgerinnen und Bürger in ihrem eigenen Umfeld Verantwortung für sich selbst und für andere Menschen übernehmen.
Altbundespräsident Johannes Rau hat diesen Zusammenhang wie folgt beschrieben: „Eine Gesellschaft lebt von Treue und gegenseitigen Verpflichtungen, von Solidarität, von Engagement und Hingabe. Das taucht in keiner Effizienzrechnung auf, aber davon geht der Wärmestrom aus, von dem wir alle leben.“
Ehrenamtlich für den Nächsten Dinge ermöglichen, die der Staat allein nur sehr begrenzt leisten kann. Und dabei geht es vorrangig nicht um die Grundversorgung und auch nicht nur um die großen Organisationen. Es geht um den Mitmenschen.
Das Ehrenamt ist oft verborgen, anonym, für den Einzelnen gedacht und doch so kraftvoll für unser aller Zusammenleben, für unsere menschliche Gesellschaft.
Ehrenamtlichkeit ist eine der tragenden Säulen unserer Gesellschaft.
Die Flüchtlingshilfe hat dies auch in Kiel deutlich gezeigt, denn die vielen Transitflüchtlinge, die plötzlich kommen ohne bleiben zu wollen, waren im vergangenen Jahr eine besondere und spontane Herausforderung, und Astrid, Hauke, Dursiye und alle, die vielen anderen, waren da und halfen.
Ehrenamtliche Arbeit hat sich insgesamt grundlegend verändert.
Zum einen ist da die demografische Wandlung mit immer älteren, gleichwohl aber weitgehend gesunden Menschen, die Zeit und Kraft haben und nach einer befriedigenden Tagesstruktur und Aufgaben suchen die zeitlich befristet sind, emotional berühren und die interessieren. Zum anderen belastet zunehmend auch die Vereinzelung, Entfremdung und Anonymisierung unsere Gesellschaft.
Wo bleibt der Mensch, wo die Gemeinschaft?! Die Familie kann das alles nicht mehr leisten.
Ein neues Wertebild ist entstanden. Die Vervielfältigung der Informationen und Entscheidungsmöglichkeiten, immer mehr Mobilität und die fortschreitende Individualisierung. Alles das bringt immer neue Menschen in das Ehrenamt, oft spontan, oft kurz, oft wechselnd. Das Klischee des deutschen Vereinsmeiers jedenfalls hat sich längst überholt. Die Vereine spüren das und viele Entwicklungen gehen auch hier in die Dienstleistungsgesellschaft, die andere Anreize für das Ehrenamt im Verein benötigt.
Daneben gibt es eine Weiterentwicklung der Hilfsdienste wie Feuerwehr, THW, DLRG, der Wohlfahrtsverbände wie Arbeiterwohlfahrt, Rotes Kreuz, Paritätischer, Diakonie oder Caritas und anderen sozialer Organisationen wie der Deutsche Sozialverband. Viele Aufgaben strukturieren sich neu und gehen neue Verbindungen ein. Es besteht dabei jedoch kaum Wettbewerbsdruck, wenn beide Seiten, die an ehrenamtlicher, projektbezogener Arbeit Interessierten einerseits und die organisatorisch hervorragend aufgestellten Ehrenamts -„Profis“ andererseits, Wege zueinander finden.
Auch die Ehrenamts-Messen, die es im ganzen Land gibt, legen für diese vielfältige Entwicklung ein deutliches Zeugnis ab. Förderer und Ehrenamtsspezialisten haben sich hier zu einem Netzwerk zusammengefunden. Diese helfen auch dabei, dass jede und jeder die bzw. der sich ehrenamtlich engagieren will, auch die Gelegenheit bekommt, die Wunschtätigkeit zu finden.
Wie gelingt eine wirksame Gewinnung ehrenamtlicher Kräfte? – Ehrenamt funktioniert vor allem über Emotionen.
Herzblut für Kinder und Jugendliche, Solidarität für Menschen mit Behinderungen, Hilfebedürftigen Gutes zu tun, gemeinsame Erfolge erringen.
Als Motto kann man zusammenfassen:
Der Vereinsamung und Entfremdung mit Freude, Herzblut und Begeisterung entgegentreten.
Ehrenamt als Hilfe zur Selbsthilfe. Ich tue Sinnvolles, also bin ich.
Für den Verein Arbeit für Behinderte steht gerade und besonders das Anliegen, die Behindertenrechtskonvention im Bereich Inklusion wirksam voran zu bringen, im Vordergrund. Jürgen Müller und seine Mitstreitenden haben neben dem ehrenamtlichen Wirken für Kolleginnen und Kollegen und anderem Einsatz hier eine wunderbare zusätzliche Aufgabe gefunden. Teilhabe gilt für Lernen, Arbeit, Mobilität, Freizeit, Wohnen, Versorgung und Information gleichermaßen. Alles in allem hängt in unserer freiheitlichen, demokratischen Gesellschaft gerade bei der Inklusion sehr viel davon ab, wie wir diese Aufgabe mit guten Perspektiven für das Ehrenamt verbinden.
Wir arbeiten gemeinsam an der Lösung der Frage: Wie schaffen wir es, dass jede und jeder, der bzw. die das möchte, auch in seinem oder ihrem Sinne ehrenamtlich tätig werden kann?
Gerade wenn wir es mit der Inklusion in unserer Gesellschaft wirklich ernst meinen, kommen wir um die Beantwortung eben dieser Frage nicht herum. Bedarf, Hilfe und gute Emotionen müssen zusammenpassen, dann wirkt das Ehrenamt.
Am Schluss möchte ich von Herzen Danke sagen an all jene, die einen Teil ihrer Zeit anderen schenken und großartiges leisten.
Und erlauben Sie mir genau dazu noch einen Hinweis: Lassen Sie uns Abgeordnete des Parlaments oder die Staatskanzlei des Ministerpräsidenten vertrauensvoll wissen, wenn Sie jemanden für ihre oder seine herausragenden Leistungen eine Auszeichnung zukommen lassen möchten. Geben Sie uns allen damit die Chance DANKE zu sagen.
Und noch ein letztes: Lebenszufriedenheit und freiwilliges Engagement hängen zusammen.
Personen, die sich engagieren, sind zufriedener als Personen, die nicht freiwillig engagiert sind. Das mag einer der Gründe sein, warum in unserem Land die glücklichsten Menschen in Deutschland leben. Eine Gesellschaft mit Ehrenamt ist in jedem Fall eine bessere Gesellschaft.
Ich danke Ihnen.“