Am 05. März 2018 hat die Landesvertretung Schleswig-Holstein der Techniker Kasse das folgendes Interview mit mir zum Themenfeld, warum wir eine integrierte Bedarfsplanung in der medizinischen Versorgung benötigen und was zu tun ist, damit junge Ärztinnen und Ärzte bereit sind, in strukturschwachen Regionen zu arbeiten, veröffentlicht:
TK spezial: Die Versorgung im ländlichen Raum ist in Schleswig-Holstein ein viel diskutiertes Thema. Welchen Handlungsbedarf sehen Sie hier?
Bernd Heinemann: Der ländliche Raum muss für alle medizinischen und pflegerischen Berufsgruppen attraktiv bleiben, damit wir dort eine gute medizinische und pflegerische Versorgung erhalten können. Das bedeutet, dass die Gemeinden ihre Infrastruktur z.B. Einkaufsmöglichkeiten, Verkehrswege, Schulen und Kitas sowie kulturelle Angebote für die Daseinsvorsorge erhalten müssen. Nur dann bleiben sie als Wohnort weiterhin attraktiv. Des Weiteren müssen wir die Gemeinden ermutigen, selbst Träger von medizinischen Angeboten und Einrichtungen zu werden. Gemeinsam mit der Kassenärztlichen Vereinigung und den Krankenkassen gilt es hier Lösungswege zu finden. Viele junge Ärztinnen und Ärzte wollen Familie und Beruf gut vereinbaren können. Das Modell des allein praktizierenden Arztes wird daher eher zum Sonderfall. Deshalb werden medizinische Einrichtungen benötigt, bei denen die Ärzte in einem Anstellungsverhältnis praktizieren. Hier könnten die Kommunen eine Verantwortung mit übernehmen. Gut wäre dabei, wenn auch pflegerische und therapeutische Angebote, die Geburtshilfe und auch Apotheken mit der medizinischen Versorgung zusammengedacht werden.
TK spezial: „Wir werden sicherstellen, dass alle auch zukünftig eine gute, flächendeckende medizinische und pflegerische Versorgung … erhalten …“ So steht es im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD zu Beginn des Kapitels 4. Ärzte, die in unterversorgten ländlichen Räumen praktizieren, die hausärztliche Versorgung und die „sprechende Medizin“ sollen besser vergütet werde. Ist mehr Geld das Mittel der Wahl damit sich wieder mehr Haus- und Fachärzte dort niederlassen, wo Unterversorgung droht?
Bernd Heinemann: Geld kann ein Anreiz sein, um z. B. die hohen Einstieghürden für junge Ärzte mit einer eigenen Praxis abzusenken oder um sich mit einer Zweitpraxis niederzulassen. Die Investitionskosten für eine Niederlassung sind schon immens. Zu dem ist es wichtig, dass die Tätigkeit des Hausarztes, bei der auch Zeit für ein Gespräch mit den Patienten ein wichtiger Bestandteil ist, aufgewertet wird. Die Wertigkeit der Behandlungsanteile darf nicht allein an pharmakologischen und technischen Maßstäben ausgerichtet werden, Heilung ist mehr.
Aber Geld wird kein alleiniger Anreiz sein. Vielen jungen Ärztinnen und Ärzten geht es auch um die Wohnqualität, Arbeitszeiten und ob der Partner oder die Partnerin eine Arbeit vor Ort findet.
TK spezial: Welcher weiteren Maßnahmen bedarf es aus Ihrer Sicht noch, um die medizinische Versorgung in strukturschwachen Regionen unseres Bundeslandes perspektivisch sicherzustellen?
Bernd Heinemann: Wir benötigen eine integrierte Bedarfsplanung der gesamten medizinischen Versorgung. Denn wir stellen fest, dass es auch schon Regionen gibt, wo z. B. therapeutische Heilbehandlungen kaum möglich sind. Nicht nur der Ärztemangel, sondern auch andere medizinisch-therapeutische und pflegerische Berufsgruppen müssen wir in den Blick nehmen. Dabei muss auch das Land in die Pflicht genommen werden. Deshalb haben wir im Landtag einen Antrag gestellt, damit die Ausbildung in den Gesundheitsfachberufen wie z. B. Ergotherapeut/in, Logopäde/in und Physiotherapeut/in schulgeldfrei wird. Dieser wurde von der Regierungskoalition jedoch abgelehnt. Des Weiteren müssen auch Versorgungsmodelle mit mobilen Angeboten entwickelt, ärztliche Aufgaben mehr delegiert und die Telemedizin weiter ausbaut werden. In Deutschland müssen wir die Telemedizin zur Verbesserung der Versorgung mehr nutzen. Andere Länder sind da schon einen Schritt weiter. Mit der Telemedizin kann der Hausarzt vor Ort die fachärztliche Expertise aus der nächst größeren Stadt einbeziehen. Dazu ist der flächendeckende Breitbandausbau in Schleswig-Holstein notwendig.
TK spezial: Seit Jahren arbeiten wir in Schleswig-Holstein daran, die flächendeckende medizinische Versorgung sicherzustellen. MVZ, kommunale Ärztezentren, ärztliche Zweigpraxen oder der Einsatz von NäPa`s sind einige Beispiele dafür. Aber wie können wir die sektorenübergreifende Zusammenarbeit zwischen dem ambulanten und dem stationären Bereich substantiell verbessern?
Bernd Heinemann: Die Sektorengrenzen müssen geöffnet werden, um zum Beispiel die Notaufnahmen zu entlasten. Hierbei können die sogenannten Anlauf- oder Portalpraxen in den Kliniken ein wichtiger Baustein sein. Sie sollen helfen, die Situation in der stationären Versorgung zu entlasten. Denn nicht jeder Fall in der Klinik ist ein Notfall. Wenn wir die Sektorengrenzen überwinden wollen, muss das mit allen Akteuren gut abgestimmt passieren. Dazu gehört auch, dass eine einheitliche Notrufnummer, in die neu ausgerichtet auch der Kassenärztliche Bereitschaftsdienst integriert ist, entsteht.
Zudem wird es in Gebieten ohne spezielle Fachärzte notwendig sein, dass eine fachärztliche Untersuchung auch im Krankenhaus ambulant möglich ist.
TK spezial: Könnten Sie an einem Beispiel verdeutlichen, wo das Problem liegt – und wie man es aus Ihrer Sicht angehen könnte?
Bernd Heinemann: Wie in der Frage zuvor erwähnt, können ein wichtiger Baustein für die sektorenübergreifende Zusammenarbeit die sogenannten Anlauf- oder Portalpraxen in den Kliniken sein. Nicht jeder Fall, der in der Notaufnahme ankommt, ist ein Notfall. Die Zahl der Patienten ist in den Notfallambulanten stark angestiegen. Eine vorgeschaltete Falleinschätzung der ankommenden Patienten, trennt die echten Notfälle für die Notaufnahme von den Fällen, die ganz normal von einem ambulanten Arzt in der Klinik behandelt werden können. Diese Art der sektorenübergreifenden Zusammenarbeit muss gesetzlich an vielen Stellschrauben erst neu geregelt werden. Zum Beispiel ist es eine Frage der Finanzierung und der Trägerschaft. Anlauf- oder Portalpraxen könnten auch eine Möglichkeit sein, in unterversorgten Gebieten, die ambulante medizinische Versorgung auch zu den Hauptzeiten sicherzustellen. Zurzeit werden fachliche Expertisen auf Bundesebene dazu erarbeitet. Hier wird in den nächsten Jahren viel passieren. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wollen im Landtag dazu eine umfassende Diskussion.
TK spezial: Wie kann die Digitalisierung die Zusammenarbeit zwischen niedergelassen Ärzten, Krankenhäusern und den weiteren Leistungserbringern weiter verbessern?
Bernd Heinemann: Durch die Digitalisierung und die Nutzung von Telemedizin kann eine fachmedizinische Unterstützung genutzt werden, wenn diese vor Ort nicht vorhanden ist. Die Zusammenarbeit zwischen Ärzten an weiter entfernt liegenden Orten kann so stark verbessert werden. Hausärzte können Diagnosen mit Fachärzten oder Spezialisten in Kliniken und anderen Orten besprechen und medizinische Daten aus der Ferne diagnostisch eingeordnet werden. Der Datenschutz spielt für mich dabei eine wichtige Rolle.
TK spezial: Welche Vorteile sehen Sie dabei für die Patienten?
Bernd Heinemann: Für die Patientinnen und Patienten werden die Wege kürzer. Über z. B. Videosprechstunden und den Hausärzten vor Ort kann die medizinische Versorgung vor Ort sichergestellt werden. Zudem profitieren Patientinnen und Patienten von dem Einsatz moderner, diagnostischer Verfahren auch aus der Ferne.